Gazproms Albtraum (ZEIT,03.08.2017)

Mit der Nord-Stream-Pipeline will sich Russlands Präsident direkten Zugang zu den europäischen Märkten verschaffen. Jetzt kommen Putin und Gazprom die USA in die Quere.

Gazproms Albtraum

Von Maxim Kireev, Moskau
3. August 2017, 12:37 Uhr

Seit drei Jahren versuchen russische, europäische und deutsche Partner mit aller Kraft, die Nord-Stream-2-Pipeline voranzutreiben. Nachdem US-Präsident Donald Trump am Mittwoch vom US-Kongress beschlossene neue Sanktionen gegen Russland mit seiner Unterschrift gebilligt hat, ist das neun Milliarden Euro teure Projekt in Gefahr.

Gazprom will mit der neuen Leitung, die von den Energiekonzernen Wintershall, Uniper, OMV, Shell und Engie mitfinanziert wird, seine Exportkapazitäten nach Deutschland von 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich verdoppeln. Der russische Präsident Wladimir Putin will damit direkten Zugang zu europäischen Märkten bekommen, ohne auf Polen oder die Ukraine angewiesen zu sein. Dafür hat Russland bereits mehrere Milliarden Euro investiert. Nun könnten die USA mit ihren Sanktionen nicht nur die westlichen Mitfinanzierer verschrecken, sondern auch westliche Baufirmen und Lieferanten, ohne die das Projekt kaum möglich sein wird.

Noch protestieren Russlands westliche Partner. Mario Mehren, Chef des Nord-Stream-Partners Wintershall, kritisierte laut der russischen Nachrichtenagentur Ria, Unternehmen würden durch die Sanktionen zum Spielball geoökonomischer Interessen gemacht. Erste europäische Partner aber zeigen schon Zurückhaltung: Die Bundesnetzagentur etwa nahm die Pipeline noch nicht in den Netzentwicklungsplan auf. In einer Mitteilung schrieb die Behörde: Die „im Zusammenhang mit der Erweiterung der Nord Stream“ geplanten Erweiterungen des Gasnetzes seien noch zu unsicher.

Dabei sind die Planungsarbeiten für Nord Stream 2, die vom russischen Ust-Luga durch die Ostsee bis nach Greifswald verlaufen soll, schon weit vorangeschritten. Die Aufträge für die Unterseeröhren sind vergeben, an zwei russische Konzerne und die deutsche Europipe. Im Frühjahr gewann dann der Schweizer Pipelinebauer Allseas die Nord-Stream-Ausschreibung für die Verlegung der Unterseeröhren. Aus Deutschland meldete der Pipelinebetreiber Gascade, eine Tochter von Gazprom und Wintershall, den erfolgreichen Abschluss des Raumordnungsverfahren für das sächsische Teilstück des geplanten Nordstream-Anschlusses EUGAL. Vor wenigen Tagen dann brachte ein Sonderzug die ersten 200 Röhren aus russischer Produktion in einen Hafen nach Finnland, wo sie bis zum Baustart der Unterwasserröhre zwischengelagert werden sollen. Besonders aktiv laufen die Bauarbeiten auf dem russischem Festland, wo die Röhen für die Nord-Stream-Zubringer aus Sibirien bereits verschweißt werden.

Russland beeilt sich aus gutem Grund mit dem Röhrenbau. Im Jahr 2019 läuft das Transitabkommen mit der Ukraine aus. Dann muss Russland die Bedingungen, zu denen es Gas durch sein westliches Nachbarland nach Europa pumpt, neu verhandeln. Seit Russland die Krim annektiert hat und Krieg im Donbass führt, ist das Verhältnis der beiden Länder ruiniert.

Gleichzeitig bleibt Russland nach jetzigem Stand der Dinge auf die Ukraine angewiesen. Im vergangenen Jahr exportierte das vom russischen Staat kontrollierte Energieunternehmen Gazprom fast 45 Prozent seines Gases durch die Ukraine, insgesamt 82,2 Milliarden Kubikmeter. Dieses Volumen wollen Putin und Gazprom auf etwa 15 Milliarden Kubikmeter reduzieren. Sollte Nord Stream 2 bis 2019 fertig werden, hätte Russland für den Transit eine deutlich bessere Verhandlungsposition gegenüber seinen Nachbarn. Damit das passiert, müssten die Arbeiten jedoch im kommenden Frühjahr beginnen.

Kritik kommt vor allem aus Osteuropa
Schon vor den Sanktionen gab es Kritik an der Pipeline, vor allem aus osteuropäischen Ländern. Sie fürchten nicht nur, Transitgebühren zu verlieren. In Zukunft könnte Russland zum Beispiel auch Polen, der Ukraine und anderen Ländern den Gashahn zudrehen, ohne ihre Exporte in Westen zu gefährden. So protestierte etwa die polnische Wettbewerbsbehörde gegen einen Zusammenschluss von Wintershall, Uniper, OMV, Engie und Shell, die jeweils knapp zehn Prozent von Nord Stream übernehmen sollten. Doch die Nord-Stream-Partner wussten eine mögliche Wettbewerbsklage zu umgehen: Die Partner unterstützen Gazprom mit Krediten beim Bau, statt direkt bei Nord Stream einzusteigen.

Ein weiteres Problem hatte Gazprom noch aus Zeiten der bestehenden ersten Nord Stream Leitung geerbt. Für Nord Stream 1 und 2 sind jeweils die beiden Anschlussleitungen Opal und Eugal notwendig, die von Greifswald aus Richtung Süden zur tschechischen Grenze laufen. Opal wurde zwar längst gebaut, doch Brüssel hatte die vollständige Nutzung der Kapazitäten von Opal durch Gazprom blockiert. Das Argument: Laut EU-Recht müssen auch andere Gasförderer Zugang zu der Leitung haben. Weil Opal zur Hälfte leer stand, mehrten sich Zweifel, ob die noch zu bauende Eugal-Leitung überhaupt sinnvoll ist, wenn auch sie nur zur Hälfte befüllt werden kann. Schließlich gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Leitungen anfangen, kein anderes Gas, das dafür infrage käme. Nach jahrelangen Verhandlungen konnten sich Gazprom und die Bundesnetzagentur auf eine Ausnahmeregelung einigen, der schließlich Brüssel zustimmte.
Auch im Streit über die Anwendung des EU-Binnenmarktregeln folgte Brüssel am Ende der Argumentation aus Moskau und Berlin, wonach Nord Stream als Pipeline außerhalb der EU nicht unter die Entbündelungsrichtlinien fällt. Diese sehen vor, dass Gasförderung und Transport voneinander getrennt sein müssen.

Hoffnung für die Pipeline-Gegner
Die letzte große Hoffnung der Pipeline-Gegner blieb somit die EU-Kommission, die im Juni im EU-Rat ein Verhandlungsmandat anfragte, um sich im Namen der einzelnen Mitgliedsstaaten an den Verhandlungstisch zu setzen. Ein Schritt den nicht nur die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG, sondern auch die Bundeskanzlerin als unnötig bezeichneten. Schließlich könnten sich die Verhandlungen zwischen Brüssel und Moskau hinziehen und den Bau um Monate oder Jahre verzögern. Vor wenigen Wochen berichtete die Agentur, dass im EU-Rat zumindest 13 von 28 Mitgliedsstaaten für das Mandat der Kommission seien, darunter Länder in Osteuropa, Skandinavien und Italien. Das Lager der eindeutigen Gegner ist mit Deutschland, Frankreich und Österreich kleiner.

Nun bekommen die Pipeline-Kritiker neue Hoffnung durch die Sanktionen. Dabei wäre die wegfallende Finanzierung der westlichen Partner noch das kleinere Problem. Diese ließe sich notfalls auch bei Staatsbanken oder in Asien auftreiben. Viel empfindlicher würden Gazprom mögliche Sanktionen für die Subunternehmer beim Bau der Röhren treffen. Das einzige Röhrenverlege-Schiff, das Gazprom im vergangenen Jahr erworben hat, könnte zwar im Schelfbereich zum Einsatz kommen. Für den Rest bräuchte Gazprom höchstwahrscheinlich ausländische Hilfe. Kaum ein Unternehmen mit dem nötigen Know-How würde sich jedoch trauen, US-Sanktionen zu brechen.


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